Bilder, die einen nicht mehr loslassen
Es gibt Bilder, die einen ein Leben lang begleiten. Als der Regisseur Wim Wenders vor über 20 Jahren in einer Galerie eine Schwarzweiß-Aufnahme des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado entdeckte, ließ ihn das Bild nicht mehr los. Es zeigt in einer monumentalen Darstellung Goldsucher in der Mine von Serra Pelada in Brasilien und hängt nun seit über 20 Jahren über dem Schreibtisch des Filmemachers. So erzählt Wim Wenders zu Beginn seines Dokumentarfilms „Das Salz der Erde“ über den inzwischen weltweit bekannten Fotografen.
Als ich vor einigen Wochen erstmals die Schwarzweiß-Aufnahmen Salgados sah, war ich begeistert und verstört zugleich. Begeistert von der faszinierenden Qualität und Komposition der Bilder, verstört von den Motiven: bis auf die Knochen abgemagerte Kinder, verhungerte und niedergemetzelte Menschen in den humanitären Krisengebieten der Erde. Wie ist es möglich, Ästhetik und Brutalität so in Bildern zu vereinen, dass diese einen nicht mehr loslassen?
Der Sozialfotograf Sebastião Salgado
Sebastião Salgado ist (besser gesagt: war) Sozialfotograf. Bis ihn das Leid, dem er weltweit begegnete, selbst an die Grenzen des Erträglichen führte. Der Film „Das Salz der Erde“ zeigt das Porträt eines Fotografen, der mehr ist als ein aussen stehender Berichterstatter. Salgado lebt, er-lebt und leidet mit, was er fotografiert. Er ist nicht aussen vor, sondern mitten drin – nicht nur physisch, sondern mit seiner ganzen Existenz. Da gibt es keine Spur von Voyeurismus, der die Fotografieren zu Objekten erniedrigt. Wenn Salgado von seinen Projekten erzählt, wird deutlich, was der französische Fotograf Henri Cartier-Bresson einmal so ausdrückte: „Das eine Auge des Fotografen schaut weit geöffnet durch den Sucher, das andere, das geschlossene, blickt in die eigene Seele.“
Was ist das Geheimnis von Sebastião Salgados Bildern?
Nach dem Film fragte mich eine unserer Kursteilnehmerinnen: „Sag mir bitte: wie macht man solche faszinierenden Schwarzweiß-Aufnahmen?“ Ich meine, hier ist die Kernfrage eines jeden Fotografen angesprochen. Das eine ist die Technik. Wer fotografiert (damit meine ich mehr als Knipsen in der Automatik-Funktion), sollte gelernt haben, mit seiner Kamera umzugehen. Das zweite ist der Blick für Motive. Auch das kann man bis zu einem gewissen Grad einüben. Das dritte, für mich absolut Unterscheidende, ist die Haltung. Es macht einen großen Unterschied, ob ich als Fotograf ein Außenstehender bin, der Fotos „schießt“, oder ob ich mich begreife als Teil eines Ganzen, in dem alles mit allem verbunden ist. (Die Quantenphysik hat uns da ganz neue Einblicke gegeben in das „Funktionieren“ der Welt!). Diese drei Elemente bilden bei Salgado eine untrennbare Einheit. Und das macht für mich die Einzigartigkeit seiner Fotografien aus.
Salz der Erde
Das Salz der Erde – das sind wir alle, wie Salgado selbst sagt. Mit seinem neuen Projekt „Genesis“ setzt er fotografisch die Schönheit unseres Planeten all der Grausamkeit entgegen und appelliert an unsere Verantwortung als Menschen. Dass er nicht nur appelliert, sondern selbst handelt, überzeugt: Zusammen mit seiner Frau initiierte er, dass ein Stück des brasilianischen Regenwaldes, das vor Jahrzehnten abgeholzt wurde, zu neuem Leben erblüht: 2,5 Millionen Bäume wurden dort inzwischen gepflanzt.
Wir Menschen können anderen ganz gehörig das Leben versalzen. Darin sind wir oft wahre Meister. Aber wir können auch „Salz der Erde“ sein, welches das Leben nicht nur genießbar, sondern erst richtig schmackhaft macht. Hat übrigens Jesus schon vor 2000 Jahren in seiner „Bergpredigt“ gesagt.